Die veränderte Lernsituation - Gedächtnis und Lernen

Auf Schüler:innen prasseln jede Sekunde unzählige Eindrücke ein. Hier immer einen klaren Fokus zu behalten, ist schon eine Herausforderung für sich genommen. Eine Herausforderung, der auch wir Erwachsenen jeden Tag gegenüberstehen und der auch wir Erwachsenen nicht immer gewachsen sind. Aber genau darum geht es ja, wir Erwachsenen wollen den Kindern und Jugendlichen ein effektives Lernen ermöglichen und dafür müssen wir zum einen Kenntnisse über das Gehirn und das Gedächtnis haben und zum anderen daraus geeignete Lernsettings ableiten. Und in einer Zeit, in der immer mehr Informationen in kurzer Zeit auf ein Individuum einwirken, scheint ein Lernsetting, das über ein Jahrhundert alt ist, nicht mehr geeignet, also ich meine völlig ungeeignet. 

Nur wenn sich Schüler:innen auf eine Information konzentrieren können, gelangt diese auch in das Arbeitsgedächtnis. Das Arbeitsgedächtnis ist sozusagen der aktive „Denkschreibtisch“, auf dem die Schüler:innen gerade arbeiten. Es ist der entscheidende Ort, an dem Fakten mit bereits Gelerntem verknüpft werden, Ideen bewertet und Probleme gelöst werden. An diesem Ort findet folglich das eigentliche Lernen statt. Es gibt nur ein Problem: Dieser Denkschreibtisch hat nur begrenzte Kapazitäten, weshalb zu viele Informationen auf einmal schnell zu einer Überforderung führen können.

Aber was ist jetzt der Unterschied zum Langzeitgedächtnis? Um möglichst anschaulich zu bleiben, können wir das Langzeitgedächtnis mit einer Bibliothek vergleichen, in der alle Informationen dauerhaft gespeichert werden. Wenn nun auf eine Information zugegriffen werden will, braucht es eine Instanz, die diese eine exakte Information aus diesem riesengroßen Archiv herausssuchen kann, quasi eine Art Bibliothekar:in. Und hier kommt das Arbeitsgedächtnis wieder ins Spiel, das diese Aufgabe übernimmt. Damit das Arbeitsgedächtnis die eine Information aber finden kann, braucht es im gesamten Archiv eine Ordnung und Struktur. Fehlt diese, findet unsere Art Bibliothekar:in die eine Information nicht, und das passiert, wenn zuvor nur oberflächlich und unzureichend gelernt wurde. Es kommt zu Abrufschwierigkeiten, die sich darin ausdrücken, dass Schüler:innen etwas eigentlich wissen, es aber nicht benennen können. 

Als Lehrkraft ist es unsere Aufgabe, den Schüler:innen bei der Organisation ihres Denkschreibtisches und der Strukturierung ihres Wissensarchives zu helfen. Und das bedeutet, neue Informationen schrittweise zu vermitteln, genügend Möglichkeiten zur Wiederholung zu geben und Ablenkungen zu minimieren.

Folgende Empfehlungen ergeben sich hieraus für Lehrkräfte:

Strukturierung des Arbeitsgedächtnisses

      • schrittweise Einführung neuer Inhalte, nicht zu viele auf einmal

      • Zerlegung komplexer Inhalte in mehrere kleine Einheiten („Chunking“)

      • viel mit Visualisierungen und Beispielen arbeiten, um mentale Modelle zu entlasten

    Unterstützung des Langzeitgedächtnisses

        • Spaced Repetition (regelmäßige Wiederholungen) einplanen

        • Schüler:innen ermutigen, Inhalte in eigenen Worten zu erklären (Elaboration)

        • neue Inhalte mit dem Vorwissen verknüpfen

      Förderung der Selbstregulation

          • Schüler:innen anleiten, eigene Lernziele zu formulieren und ihre Lernfortschritte auch zu reflektieren

          • Implementierung metakognitiver Fragen in den Unterricht, wie z.B. „Wie viel Energie habe ich heute?“, „Was brauche ich, um weiterzukommen?“, „Was möchte ich heute lernen?“

          • Vermittlung von Strategiewissen (z.B. Karteikarten, Mindmaps, Selbsttests, Textbearbeitung mit Markierungen und Annotationen etc.)

        Minimierung von Ablenkungen

            • Formulierung klarer Regeln für eine lernförderliche Atmosphäre, und zwar gemeinsam mit den Schüler:innen

            • Integration ruhiger Arbeitsphasen bzw. der Möglichkeit dazu

            • alles schreit nach Digitalisierung; „ja“ dazu sagen, aber digitale Medien bewusst und gezielt einsetzen

          Motivation

              • Stärkung von Selbstwirksamkeit; und hierbei ist besonders wichtig, dass auch die kleinen Erfolge sichtbar gemacht werden

              • Schüler:innen Wahlmöglichkeiten geben, indem sie Lernwege teilweise selbst bestimmen können

              • emotional positiv gestaltete Lernräume; zum Beispiel muss der Lernort Klassenzimmer ein Raum sein, in dem sich die Schüler:innen wohlfühlen, geborgen fühlen, sicher fühlen. Es bietet sich an, hier mit den Schüler:innen ins Gespräch zu kommen und die alles entscheidende Frage zu stellen: „Was braucht ihr dafür?“

            Und damit all das gelingen kann, dürfen wir eines nicht mehr machen: nur nach der Erfüllung der Bildungspläne schauen! Keine Frage, die Vermittlung von Fachwissen ist wichtig, aber noch wichtiger ist es, dass wir unsere Schüler:innen zur selbstständigen Erschließung neuer Inhalte befähigen.

            Quellen:

            https://www.campus-schulmanagement.de/magazin/selbstreguliertes-lernen-ein-schluessel-fuer-zeitgemaessen-unterricht-ferdinand-stebner

            https://epub.uni-regensburg.de/53339/1/13%20Kognitive%20Lernvoraussetzungen%20–%20Aufmerksamkeit%20und%20Gedächtnis.pdf